Der Wahnsinn des Kapitalismus
Er hat sein Publikum gewarnt, aber es wird ihm nichts helfen. Sein neuer Film, sagt der amerikanische Regisseur Paul Thomas Anderson, sei keine Parabel auf den Kapitalismus, kein politischer Kommentar, sondern ein Kunstwerk. Anderson hat recht. There Will Be Blood (der im Wettbewerb der Berlinale und vom 14. Februar 2008 an im Kino läuft) ist ein ästhetisches Meisterstück aus der Menagerie der Leidenschaften, ein Film über Gier und Bosheit, über Feindschaft und Hass. Das ist die Wahrheit, aber nur die halbe.
Die andere Wahrheit lautet: Andersons Film über Aufstieg und Fall des Ölmagnaten Daniel Plainview ist eine grandiose Erzählung über den Kapitalismus, der kriminell, über einen Wohlstand, der freudlos und ein Wachstum, das zum Fetisch geworden ist. There Will Be Blood ist kein Endzeit-Film, aber ein Film über das Ende einer Ära – über den Niedergang Amerikas, dieser Weltmacht der Ungleichheit, in der die Kluft zwischen Arm und Reich heute wieder so groß ist wie in den zwanziger Jahren. Gut einhundertfünfzig Jahre dauerte die Glutphase der amerikanischen Pioniergesellschaft, doch heute ist ihr Traum ausgeträumt. Der Kapitalismus macht lebensmüde; er hat seinen Kredit verspielt und baut auf Sand.
Damit trifft Anderson den Nerv der Zeit und streut Salz in die Wunde amerikanischer Selbstzweifel. Ohne agitatorischen Zungenschlag fragt There Will Be Blood, ob die heilige Ökonomie nicht mehr Werte zerstört, als sie schöpft; ob die Opfer, die auf dem Altar des Wachstums gebracht werden, noch lohnen. Im Film steht die Antwort fest: Die Jagd nach dem ewigen Reichtum ist sinnlos und ihre Verheißung ein ungedeckter Scheck. Der Kapitalismus liebt das Geld und nicht das Leben. Vergessen wir also sein Credo: »Go West, der Schatz ist schon für dich vergraben. Du musst ihn nur finden.«
Paul Thomas Anderson ist mit Boogie Nights bekannt, mit Magnolia berühmt und mit Punch-Drunk Love beliebt geworden. Sein neuester Film hält sich an Upton Sinclairs Roman Oil! aus dem Jahr 1927, der in einer Zeit spielt, als die Sonne im Reich der Ölbarone, der Rockefellers, Paynes und Rogers, nie unterging. Gewiss, Upton Sinclair gilt als braver Sozialkritiker, aber das ist nur ein Gerücht. Oil! ist ein faszinierender Roman, weil er nicht nur die heimliche Utopie des Kapitals beschreibt, sondern auch die Tatsache, dass die Ausbeutung der Natur sich in den menschlichen Verhältnissen wiederholt. Eine Gesellschaft pumpt Öl aus der Erde, und irgendwann fließt Blut. Doch warum?
Ein Mann hat sich eingegraben und wühlt in einem Erdloch, mutterseelenallein in einer steinernen Wüste, einer stummen und uneinnehmbaren Natur, in der kein Menschenwesen etwas verloren hat. Ein unheimliches Sirren liegt über den monumentalen, von Jonny Greenwood – dem Gitarristen der Band Radiohead – untermalten Bildern. Wie in Trance buddelt der Fremde nach Gold und Silber, und plötzlich findet er den Zaubertrank der Moderne, das Schmiermittel des Fortschritts, er findet Öl. Das schwarze Gold kostet ihn zwar Blut, Schweiß und Tränen, aber der Mann ist ein Glückskind, denn er gewinnt, wenn er verliert: Er bricht sich ein Bein und findet einen Schatz. Er verliert seine Familie und heiratet das große Geld. Er tauscht einen menschlichen Verlust gegen einen kapitalen Gewinn. Und siehe da, es dauert nicht lange, und Daniel Plainview ist ein gemachter Mann, ein Unternehmer in Tweed und Leinen. Es kann nur aufwärts gehen.
Dieser »Ölmann«, gespielt von einem hinreißenden Daniel Day-Lewis, ist ein Schlitzohr und Charismatiker, ein Spieler und Abenteurer, kühl aus unterdrückter Wärme und leidenschaftlich vernarrt in seine Braut, die Fee des Kapitals. Anderson trägt seinen Helden anfangs auf Händen und bewundert den Tatendrang, mit dem der Selfmademan das Bohrgestänge in die Eingeweide der Erde treibt. Als hieße sie Moby Dick, muss die Natur an der richtigen Stelle »angestochen« und in ihren Weichteilen, den Sandschichten, getroffen werden. Sobald das Ungeheuer zur Strecke gebracht und die Quelle angebohrt ist, spuckt die Wunde Feuer, und dann schießen Gas und Öl in den Himmel, wie ein letztes Aufbäumen der tödlich getroffenen Natur. Nach einem Augenblick des Schreckens lässt Anderson in furiosen Bildern eine moderne Kriegerkaste anrücken, die in der Gluthitze des Flammenmeers Eisenkarren mit Dynamit in Stellung bringt, um dann, Gewalt gegen Gewalt, das Feuer durch eine Druckwelle zu löschen. Der Gegner ist besiegt, und mit dem Öl sprudelt das Geld. Plainview hat gewonnen.
Dennoch gibt es eine Rache der Natur, auch wenn sie mit bloßem Auge kaum zu erkennen ist. Je tiefer der Bohrmeißel getrieben und je mehr Öl der Natur abgepresst wird, desto feindseliger werden die Menschen. Um die Gewalt der Natur zu brechen, muss sich der Pionier ebenfalls Gewalt antun. Wo andere ein Glücksgefühl haben, hat Daniel Plainview einen Gefahrensinn. Wo andere Freunde haben, hat er Feinde wie Sand am Meer. Der Teufel, die konkurrierende Ölgesellschaft, will ihm ans Leder. Daniel scheint cool, elegant und gelassen, aber er steht mit dem Rücken zur Wand. Sein Schuldkonto wächst so schnell wie sein Profit, denn um sich in den Besitz von profitablem Land zu bringen, bricht er das heilige Gesetz der Gastfreundschaft.
So wird der Ölmann kalt und kälter, und nur einmal schließt der moderne Odysseus Frieden mit sich und der Natur – als er sein gelobtes Land durchmessen hat und ins Meer eintaucht, schwerelos und für einen Augenblick befreit vom Zwang, erfolgreicher zu sein als der Erfolg. Zurück in der Wildnis der Zivilisation, ist er wieder ganz der ökonomische Mensch, der sich fürs Geschäft menschlich gibt. Sogar seine Treuherzigkeit sieht aus wie Kalkül. Bei schwierigen Verkaufsverhandlungen benutzt Daniel seinen geliebten Ziehsohn (Dillon Freasier) als Türöffner und Herzensbrecher, und dann verkörpert der Schutzbefohlene sein ganz persönliches Vertrauenskapital, eine humane Deckungsreserve, um zweifelnde Kunden umzustimmen, damit sie nicht merken, wie sie übers Ohr gehauen werden. Tatsächlich ist dieser Junge von Kindesbeinen an ein Vollmitglied der Pioniergesellschaft, ein Infant des Kapitalismus. In weiser Voraussicht hat der leibliche Vater, der kurze Zeit später im Bohrloch von herabstürzendem Werkzeug erschlagen wird, seinen Sohn nicht mit Wasser getauft und auch nicht in Gottes Namen. Er hat ihn mit Öl getauft, dem Saft der Ökonomie. Fest soll sein Taufbund immer stehen.
Damit hat der Film sein Thema gefunden, und er wird es auskosten bis zur bitteren Neige, bis vom Dasein nichts mehr übrig bleibt als Hass und Verachtung. Was ist uns der Reichtum wert? Wie viel Leben wollen wir der Ökonomie opfern? Eine ganze Weile murmelt der Film das süße Mantra des Kapitalismus, das Lob der schöpferischen Zerstörung, und es ist Musik in den Ohren des Helden. Daniel opfert den Spatz in der Hand und bekommt die Taube auf dem Dach. Aber irgendwann wendet sich das Blatt, und dann herrscht eine Zerstörung, die nicht mehr schöpferisch ist, sondern nur noch furchtbar. Sein Adoptivsohn verliert bei einer Gasexplosion sein Gehör, und weil der taube Junge nun lästig wird, entsorgt Daniel ihn in einem Internat. Danach geht es bergab. Je paradiesischer das Leben sein könnte, desto mehr wird es ihm zur Hölle. Am Ende ist der große Unternehmer ein Monster der Einsamkeit und ersäuft in Öl, Geld und Alkohol. Das Subjekt, das die Früchte seiner Arbeit genießen könnte, gibt es nicht mehr. Es hat sich selbst geopfert.
Wenn der Kapitalismus zur Religion wird, leistet dann wenigstens die Religion Widerstand? Für einen Moment schenkt Anderson dem Zuschauer den Glauben an den Glauben, aber die Ernüchterung folgt auf dem Fuß. Denn die Religion ist hier nichts anderes als ein Zwillingsbruder des Kapitals, einig im Geist und Fleisch von seinem Fleische. Auch Eli (Paul Dano), der komische Heilige, der auf dem Weideland aufwuchs, auf dem Plainview seinen Reichtum scheffelt, ist verrückt nach Geld, und auch er trickst und täuscht zum höheren Vorteil seiner Kirche, die niemand anderes verkörpert als er selbst. Gierig bohrt er in verwirrten Seelen nach der Milch der frommen Denkungsart und führt sich die himmlisch Erlösten als irdische Beute zu. Kurzum, Daniel und Eli spielen dasselbe Spiel. Beide jagen einem Fetisch nach, beide sind Eiferer, der eine mit lächelndem Kalkül, der andere mit Flackern in den Augen. Für Daniel ist der Kapitalismus eine Religion; für Eli ist die Religion eine Form von Kapitalismus. Mit seinem Hokuspokus bringt der Teufelsaustreiber die Verrückten zur Vernunft, aber vielleicht sind die Verrückten, die der irren Jagd nach dem ewigen Reichtum widerstehen, die einzigen Menschen, die in der tollen Welt des Paul Thomas Anderson normal geblieben sind.
In solchen Szenen, wenn der Religionsunternehmer sogar dem Ölunternehmer die bösen Geister austreibt, lässt Anderson die Spekulationen wie Bohrtürme aus dem Boden schießen. Ist der Priester ein Lakai des Kapitals? Arbeiten Eli und Daniel wider Willen Hand in Hand? Auch wenn die Antwort düster und das Finale nicht das ist, was man erbaulich nennt, so ist Andersons Film doch auf wunderbare Weise amerikanisch. Er fuchtelt nicht mit dunklen Mächten, er droht nicht mit anschwellenden Untergangsgesängen, mit apokalyptischer Naherwartung und reaktionärem Tamtam. Er sagt nur: Wie es ist, so darf es nicht bleiben. Macht, wie ihr’s wollt, aber macht es anders. Die Menschen haben ihre Wirtschaft immer nur verschieden interpretiert. Nun ist es Zeit, sie zu ändern.
Copyright © 2014 by Peter Bachmann